Der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter wird von vielen sowohl hormonellen wie auch körperlichen Veränderungen begleitet. Neben den alterstypischen Entwicklungsaufgaben kommt es aber auch zu erhöhten gesellschaftlichen Anforderungen, in der Schule und zuhause. Erste Beziehungen bzw. erste romantische Erfahrungen finden statt, durch Schul- und Klassenwechsel ergeben sich Veränderungen des sozialen Umfelds. Mit steigendem Alter müssen immer mehr zukunftsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Die Beziehungen zu den Familienmitgliedern verändern sich, Freunde bzw. die Peer-Group werden wichtiger, Wertvorstellungen werden überdacht und die eigene Identität wird weiterentwickelt. All dies kann zu Unsicherheiten führen, und obwohl die meisten Jugendlichen die Adoleszenz relativ problemlos durchlaufen, sollten depressive Verstimmungen nicht ignoriert und als Nebeneffekt der Pubertät verharmlost werden.
Etwa 5-6% der Kinder und Jugendlichen erleben in ihrem Leben eine depressive Episode. Wie bei den meisten psychischen Erkrankungen gibt es nicht einen Auslöser, sondern es handelt sich um ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren, darunter Risikofaktoren und Resilienz/Schutzfaktoren, die eine Entstehung positiv oder negativ beeinflussen können. Schutzfaktoren können bspw. Temperamentseigenschaften, intellektuelle Fähigkeiten, Problemlösefähigkeiten und Kreativität, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Selbstbewusstsein sein, aber auch Emotionsregulationsstrategien, Sozialkompetenz bzw. gute soziale Kontakte, Interessen und Hobbies, ausreichend Unterstützung im Umfeld bei vorherrschen eines wertschätzenden Klimas, Respekt und Akzeptanz, wie auch klare und transparente Regeln und positive Rollenvorbilder. Wichtig zu beachten ist, dass Depressionen familiär gehäuft auftreten.
Generell beklagen sich viele Eltern von Pubertierenden unter anderem über deren Rückzug, vermehrten Medienkonsum, spätes Einschlafen und geringere Motivation, auch deren Interessen verändern sich meist stark. Eltern sollten hier das Gespräch zu ihren Kindern suchen und Hilfe anbieten, eine schuldzuweisende Kommunikation sollte vermieden werden, damit Kinder und Jugendliche sich öffnen und ihren Bezugspersonen anvertrauen können. Der Verlauf von alterstypischen, “pubertären” Symptomen zu einer ernstzunehmenden Störung ist häufig fließend. Durch den oft entstehenden Schlafmangel bei einem grundsätzlich im Jugendalter höherem Schlafbedürfnis können durchaus Leistungsabfall und depressive Stimmung erklärt werden. Wenn sich jedoch eine Änderung in Schlafrhythmus oder -dauer zeigt, es zu erhöhtem Rückzug von den Eltern aber auch von Freunden und verstärktem Medienkonsum gepaart mit einer Reduktion alternativer Aktivitäten und echter sozialer Kontakte kommt, ist eine genaue Beobachtung wichtig und es ist ratsam, professionelle Hilfe hinzuzuziehen.
Typische weitere Alarmzeichen für Eltern, um zwischen alterstypischer Stimmungsschwankungen und Depression zu unterscheiden, sind Gefühle der Wertlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, wie auch Entscheidungsschwierigkeiten, Grübeln bzw. negative Gedanken hinsichtlich sich selbst, der Umwelt und der Zukunft. Wenn schon kleine Anstrengungen zu Erschöpfung führen, wodurch es wiederum zu stärkerer Einschränkung von Aktivitäten kommt, sollte dringend Hilfe in Anspruch genommen werden. Eltern können dennoch helfen: Durch das Anbieten von Gesprächen, warmherzige und offene Kommunikation, das Vermeiden von Druck, aber vor allem durch ein Ernstnehmen der Probleme und die rechtzeitige Inanspruchnahme von Beratung bzw. professioneller Hilfe.
Ein “beobachtendes Abwarten” ist nur bei einer vollständigen und altersgerechten Alltagsbewältigung, grundsätzlich praktisch gesehen aber eher nicht zu empfehlen. Wartezeiten der Diagnostikphase und das zumeist sowieso übliche längere Abwarten von Familien, sich Hilfe zu holen, führten zumeist ohnehin zu gewissen zeitlichen Verzögerungen des Behandlungsbeginns. Wenn auch fast die Hälfte aller Depressionen im Kindes- und Jugendalter innerhalb eines Jahres wieder zurückgeht, so gibt es dennoch eine hohe Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens, sowie das Risiko einer Chronifizierung höher ist, wenn die Problematik länger als 6 Monate besteht oder sehr früh auftritt. Ohne Behandlung ist das Risiko der Chronifizierung groß, und auch die Anforderungen im Alltag können nicht mehr so gut bewältigt werden, was zu Folgeproblemen führen kann. Oft suchen sich Eltern mit ihren Kindern erst spät Hilfe, wenn es zu starkem Leistungsabfall, Schulverweigerung, selbstverletzendem oder suizidalem Verhalten kommt.
Kriterien einer Depression:
Eine depressive Episode bei Kindern und Jugendlichen wird mit den gleichen Diagnosekriterien wie bei Erwachsenen erfasst, weshalb bei der Abklärung ein Wissen um entwicklungsspezifische Aspekte wichtig erscheint. Ein untypisches Erscheinungsbild ist vor allem im Kindes- und Jugendalter häufig, bei manchen Kindern steht bspw. motorische Unruhe im Vordergrund, oder die depressive Symptomatik wird bspw. durch vermehrten Alkoholkonsum, Aggressionen oder Ängste „verdeckt“. Die Diagnose der Depression sollte nur durch dafür ausgebildetes Fachpersonal gestellt werden, dies wären FachärztInnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Klinische PsychologInnen mit Fachkunde im Bereich Kindes- und Jugendalter.
In der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) werden depressive Episoden unter F32 klassifiziert. Hinsichtlich depressiver Symptomatik wird hier zwischen leichter, mittelgradiger oder schwerer depressiver Episode unterschieden, sowie bei wiederholtem Auftreten von einer rezidivierenden depressiven Störung gesprochen wird. Bei chronisch depressiver Stimmung, die nicht die Kriterien einer depressiven Episode erfüllt, aber mindestens 2 Jahre andauert, spricht man auch von einer dysthymen Störung. Von einer Melancholie wird in der Psychologie nur selten gesprochen.
Von einer depressiven Episode spricht man dann, wenn das Kind bzw. der/die Jugendliche mindestens zwei Wochen mindestens zwei der folgenden Symptome aufweist:
- depressive Stimmung, in einem für das Kind bzw. die/den Jugendlichen ungewöhnlichen Ausmaß, die meiste Zeit des Tages, fast jeden Tag
- Interessens- und Freudverlust an Aktivitäten die normalerweise angenehm waren
- verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit.
Je nach Ausprägung der depressiven Episode, leicht, mittelgradig oder schwer, müssen zusätzliche eine bestimmte Anzahl folgender Symptome zutreffen:
- Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühls
- unbegründete Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle
- wiederkehrende Gedanken an den Tod, Suizid oder suizidales Verhalten
- Klagen über oder Nachweis eines verminderten Denk- oder Konzentrationsvermögens, Aufmerksamkeitsprobleme oder Unentschlossenheit
- psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung
- Schlafstörungen
- Appetitverlust oder gesteigerter Appetit mit entsprechender Gewichtsveränderung
Andere typische Symptome im Kindesalter sind Gereiztheit und schnelle Stimmungswechsel, Traurigkeit, Zurückgezogenheit, Schmerzen wie Bauch- und Kopfschmerzen, Wutanfälle, Angst vor dem Tod, Langeweile und Müdigkeit. Im Jugendalter sind vor allem Leistungsabfall, Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus, vermehrter Alkohol/Substanzkonsum, selbstverletzendes Verhalten, sozialer Rückzug, Gereiztheit und Todesgedanken zu vermerken. Bei auffällig schnell oder schwer aufgetretenen Problemen kann eine depressive Episode auch in kürzeren Zeiträumen als zwei Wochen diagnostiziert werden.
Literatur:
- Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10; Remschmidt, Schmidt & Poustka (2017)
- Interdisziplinäre evidenz- und konsensbasierte (S3) Leitlinie, Stand: 01.07.2013 (in Überarbeitung), https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-043.html
- Kölch, Rassenhofer & Fegert (2020): Klinikmanual Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Daniela Omann
Klinische und Gesundheitspsychologin (Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie), Sozialpädagogin, Systemischer Coach für Neue Autorität, SAFE®-Mentorin
Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
SOS-Kinderdorf Wien
und in eigener Praxis https://www.danielaomann.at/
Was kann das soziale Umfeld eines Kindes oder Jugendlichen zur Bewältigung psychischer Schwierigkeiten beitragen?
Eltern können als wichtigste ExpertInnen in der Erziehung ihrer Kinder angesehen werden, da sie ihre Kinder am allerbesten kennen. Daher nehmen sie für das psychische Wohlbefinden und die positive Entwicklung ihrer Kinder eine zentrale Rolle ein.
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