Angeborene Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung beeinflussen in den ersten Lebensjahren alle Entwicklungsbereiche eines Kindes. In dieser Phase ist der Gesichtssinn von zentraler Bedeutung für den Erwerb von Entwicklungsfertigkeiten und Lernerfahrungen.
Entwicklungsverzögerungen und alternative Sinneserfahrungen
Blinde Kinder sammeln in den ersten Lebensjahren wichtige Lernerfahrungen durch alternative Sinnesinformationen. Entwicklungsverzögerungen sind dabei in den ersten Lebensjahren zu erwarten, ohne dass dies auf weitere Schädigungen hinweisen muss. Die ersten Lebensmonate sind sowohl bei blinden als auch sehenden Kindern stark auf die Befriedigung biologischer Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme und Schlaf ausgerichtet.
Frühe Sinneserfahrungen
Die ersten Eindrücke im Leben eines Kindes entstehen durch das Spüren mit dem Mund. Diese Bedeutung bleibt für das blinde Kind wesentlich länger bestehen, wobei es erste Qualitäten wie rau – glatt oder dick – dünn kennenlernt. Erst später werden Tasteindrücke mit den Händen interessanter, und der eigene Körper wird mithilfe des Tastsinns erforscht.
Die Rolle des Sehens
Für sehende Kinder ist das Sehen eine wesentliche Motivation, auf Dinge zuzugehen. Blinde Kinder erfahren die Welt hingegen nur innerhalb ihres Tastraumes. Sie benötigen viele Gegenstände unterschiedlicher Tastqualitäten, um ein „Bild des Gesamten“ zu entwickeln. Emotionales Erleben verstärkt das Einprägen von Begriffen.
Unterschiede in der motorischen Entwicklung
Die motorischen Fertigkeiten von sehenden und blinden Kindern hängen davon ab, ob die Sehschädigung angeboren oder erworben ist. Ein Kind, das im Alter von drei Jahren erblindet, hat unter Sehbedingungen laufen gelernt und seine Greifmotorik entwickelt. Ein Mangel an Reizen in der Umgebung kann die motorische Entwicklung eines blinden Kindes verzögern.
Propriozeptive und vestibuläre Informationen
Für den Erwerb motorischer Fertigkeiten sind propriozeptive Informationen (Empfindungen der Muskeln und Gelenke) und vestibuläre Informationen (Gleichgewichtssinn) von zentraler Bedeutung. Diese Sinne liefern Rückmeldungen über den Erfolg motorischer Handlungen und unterstützen den Erwerb von Fertigkeiten.
Die Bedeutung des Hörsinns
Der Hörsinn dient blinden Kindern zur Interaktion mit Personen und liefert wichtige Informationen zur Raumwahrnehmung und Orientierung. Blinde Kinder erfreuen sich an Geräuschen, Tönen und Musik, ähnlich wie sehende Menschen sich an „schönen Dingen“ erfreuen.
Förderung der Selbstständigkeit
Übe mit deinem Kind alltägliche Aufgaben wie Anziehen, Essen und Orientierung in der Umgebung. Spezielle Trainer für Orientierung und Mobilität können hierbei eine wertvolle Hilfe sein.
Andere Sinne und ihre Rolle im Lernen
Neben dem Hören und Tasten nutzen blinde Kinder auch das Riechen zur Personenerkennung oder das In-den-Mund-Nehmen von Objekten zur Gegenstandwahrnehmung. Alle Sinne tragen somit zum Lernerwerb bei.
Zugänglichkeit und Barrierefreiheit
Gestalte dein Zuhause barrierefrei. Achte darauf, dass Möbel nicht im Weg stehen und dass es genügend taktile Orientierungspunkte gibt. Werden Möbel umgestellt, muss das mit dem Kind erarbeitet werden.
Informiere dich über barrierefreie Angebote in deiner Stadt. Viele öffentliche Einrichtungen bieten spezielle Programme und Unterstützung für sehbehinderte Menschen an.
Blinde Kinder erleben und lernen die Welt durch alternative Sinnesinformationen. Es ist wichtig, ihnen eine stimulierende Umgebung zu bieten, die ihre motorische und kognitive Entwicklung unterstützt und fördert. Im Folgenden finden Sie eine Ideensammlung zur praktischen Umsetzung der Förderung der Bewegung durch Anregung der Basissinne:
Taktile Wahrnehmung:
- streicheln, Massagen
- Wickeln, baden, tragen, füttern immer in liebevoller und verbaler Begleitung
- So oft wie möglich engen Körperkontakt
- Krabbel-, Kniereiter-, Strampel-, Klatsch und Fingerspiele
- Reißen, knüllen von Papier
- Bälle-, Bohnen- Kastanienbad usw.
- Naturmaterialien
- Schatzkiste
Spiele zur Raumwahrnehmung
- Schachteln in verschiedenen Größen ( Hineinklettern, Ineinander stellen Höhlen bauen)
- Kriechtunnel
- Spiele mit Turnmatten
- Regentonnen usw.
Förderung der Bewegung
- Anregungen zu Arm-, Hand- und Fingerbewegungen:
- Plastikflaschen quetschen
- Rassel um den Arm des Kindes binden
- Tonklumpen mit der Hand flach klopfen, ausrollen
- Verschiedene Schlüssel im Schlüsselloch herumdrehen
- Dosendeckel abnehmen und zuordnen
- Socken zuordnen
- Schubladen öffnen und schließen
- Nudel, Zweige, Eisstiele erbrechen
- Öffnen und schließen von Geldbörsen, Taschen und verschiedenen Verschlüssen
- Steck-, Fädelspiele mit verschiedenen dicken Schnüren aus verschiedenen Materialien (Seile, Pfeifenputzer, Holz-und Metallstäbe)
Weitere Anregungen zur Bewegungsförderung:
Schwimmen, Reiten, Klettern, Laufen usw.
Die Förderung eines sehbehinderten oder blinden Kindes erfordert Engagement, Geduld und die Zusammenarbeit vieler Beteiligter. Indem du die oben genannten Ansätze verfolgst, kannst du deinem Kind helfen, sein volles Potenzial zu entfalten und ein glückliches, erfülltes Leben.
Weiterführende Literatur:
– Michael Brambring „Lehrstunden eines blinden Kindes“
– Marjolein Dik „Babys und Kleinkinder mit visuellem Funktionsverlust“
– Klaus Sarimski und Markus Lang „Frühförderung blinder Kinder“
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