Die Diagnose Blindheit oder hochgradige Sehbehinderung bei einem Kind ist ein tiefgreifender Moment für jede Familie und bringt eine Vielzahl von Emotionen und Herausforderungen mit sich. Eltern erleben tiefe Betroffenheit und Trauer, da ihre Wünsche und Erwartungen im Hinblick auf ihr Kind plötzlich zerstört erscheinen. Sie können sich ein Leben ihres Kindes ohne Sehen nicht vorstellen.
Zudem haben Eltern oft Schuldgefühle und fragen sich, ob sie in irgendeiner Form die Sehbehinderung mitverursacht haben. Sei es durch Vererbung, einer Situation in der Schwangerschaft, einer frühen Krankheit des Kindes. Viele Eltern fühlen sich betrogen um die unbeschwerte erste Zeit, für die sie bewusst oder unbewusst Vorstellungen hatten. Andere Eltern kämpfen zunächst um das Überleben ihres Kindes, bevor die Sehbehinderung Thema wird.
Eltern müssen sich auf eine neue Realität einstellen und lernen, wie sie ihr Kind bestmöglich unterstützen können. Ein blindes Kind zu haben, erfordert besondere Aufmerksamkeit, Geduld und kreative Ansätze, um dem Kind ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Es ist wichtig, das Kind von Anfang an zur Selbstständigkeit zu ermutigen und seine anderen Sinne zu fördern.
In der ersten Zeit hoffen viele Eltern, dass durch eine Augenoperation oder andere medizinische Maßnahmen die Sehschädigung ihres Kindes geheilt oder wenigstens gemindert werden kann. Leider wird diese Hoffnung meist enttäuscht, da trotz des medizinischen Fortschritts nicht alle Sehschädigungen zu beheben sind. Andere Fragen in der Anfangszeit beziehen sich auf die Lebensperspektiven des Kindes – in Schule, im Beruf oder im Hinblick auf eine Partnerschaft.
Die Entwicklungsverläufe blinder und hochgradig sehbehinderter Kinder unterscheiden sich von denen sehender Kinder, was bei Eltern häufig zu Unsicherheiten führt. Sie fragen sich, ob die besonderen Entwicklungsmerkmale als altersentsprechend für ein blindes oder sehbehindertes Kind gelten oder ob zusätzliche Probleme vorliegen. Diese Unsicherheit wird dadurch verstärkt, dass viele Kinderärzte und Kinderpsychologen selbst keine verlässliche Einschätzung treffen können. Eltern stehen so frühzeitig unter dem gesellschaftlichen Druck, nachzuweisen, dass ihr Kind den üblichen Entwicklungsstandards entspricht.
Die Sehbeeinträchtigung hat einen Einfluss auf viele Entwicklungsbereiche, vor allem auf die emotionale Entwicklung, Selbständigkeit, Selbstsicherheit und Eltern-Kind-Beziehung:
- durch die psychische Belastung der Eltern
- durch Leistungsdruck: Eltern versuchen schon sehr früh zu fördern und wollen nichts versäumen. Therapien und Trainings dominieren den Alltag. Gemeinsamer Spaß, die Entwicklung einer Eltern-Kind-Beziehung und das Familienleben rücken oft in den Hintergrund.
- ein sehbehindertes/blindes Kind verhält sich anders: der Blickkontakt und das soziale Lächeln können verspätet auftreten und die Eltern können das nicht ohne Hilfe deuten. Das Kind fühlt sich schneller allein gelassen, wenn nicht ständig mit ihm gesprochen wird. Die Umwelt ist weniger vorhersehbar
Das sehbehinderte Kind wirkt oft gleichzeitig schüchtern und sehr bestimmend. Diese Verhaltensweisen haben die gleiche Ursache: Sehende Menschen betreten einen Raum und verschaffen sich schnell einen Überblick. Sie ordnen ungewohnte Geräusche durch einen schnellen Blick zu und erkennen in einem Stimmenwirrwarr durch Auffangen von Blickkontakt, welche Worte an sie gerichtet sind.
Das blinde und hochgradig sehbehindertere Kind sucht Sicherheit durch Nähe zum Erwachsenen, bleibt am bekannten Ort und vermeidet neue Situationen und ungewohnte Umgebung – es wirkt also schüchtern und vorsichtig. Andererseits kann es durch „bestimmen“, wo wer sitzt und wie Dinge ablaufen sollen, den Überblick behalten.
Die Eltern fühlen sich bei der Erziehung ihres Kindes unsicher. Es ist hilfreich und notwendig, möglichst schnell Kontakt zu einer blindenspezifischen Frühförderstelle aufzunehmen, um von fachlicher Seite Unterstützung in der Erziehung und Förderung ihres Kindes zu erhalten. In der Frühförderung erarbeiten wir mit den Kindern, den Eltern und dem Kindergarten Strategien, die hier helfen.
Die Trauer über die veränderte Realität wird immer wieder neu erlebt: Eltern sehen sich als Bittsteller in Kindergarten, Musikschule und Turnverein, obwohl die Möglichkeiten zur Teilnahme an Aktivitäten mit Gleichaltrigen im Sinne der Inklusion sinnvoll und unverzichtbar sind. Oft können Kindergarten und Schule nicht nach den gleichen Kriterien ausgewählt werden, wie für die sehenden Geschwister oder Freunde. In der Schule kann es zu den üblichen Herausforderungen zusätzliche Schwierigkeiten geben. Bei Ausflügen, Schikurs, Theaterbesuch, Exkursion, Schnupperpraktika und ähnlichem braucht es verständnisvolle und engagierte Lehrende.
Auch wenn die Diagnose Blindheit/Sehbehinderung eine immense Herausforderung darstellt, ist die versöhnliche Botschaft, dass für ihr Kind trotzdem fast alles möglich sein wird. Sie können als Eltern durch Ihre Liebe, Unterstützung und Engagement zu einem glücklichen und selbstbestimmten Leben beitragen. Es gibt viele Wege, wie sich Ihr Kind trotz seiner Sehbehinderung oder Blindheit gut entwickeln kann, und Sie sind nicht allein auf diesem Weg. Spezialisierte Frühförderstellen können helfen, geeignete Hilfsmittel und Fördermethoden zu finden und den Austausch mit anderen betroffenen Familien zu ermöglichen. Selbsthilfegruppen bieten eine wertvolle Plattform zum Erfahrungsaustausch und zur emotionalen Unterstützung. Eltern müssen und dürfen auch auf ihr eigenes Wohlbefinden achten und auch die Geschwister haben ein Recht auf ein ausgewogenes Familienleben.
Frühförderstellen bieten außerdem Programme zur Förderung sehbehinderter und blinder Kinder. Sie unterstützen die Entwicklung motorischer Fähigkeiten, sensorischer Integration und sozialer Kompetenzen. Es gibt die Gelegenheit, blinde und sehbehinderte Jugendliche und Erwachsene kennenzulernen und zu erfahren, wie sie ihr Leben meistern. Zudem gibt es ausgebildete Pädagogen, die Ihr Kind in Regelschulen begleiten und spezielle Schulen für Kinder mit Sehbehinderungen oder Blindheit, die ihnen eine angepasste Bildung und individuelle Unterstützung bieten.
Frühförderstellen für Kinder mit Sehbehinderung und Blindheit in Österreich
für Burgenland, Niederösterreich und Wien:
www.contrast.or.at
für Kärnten
https://www.avs-sozial.at/aeh-fruehfoerderung
für Oberösterreich:
https://www.barmherzige-brueder.at/portal/linz/medizinpflege/augenheilkunde/sehschuleneuroophthalmolo/unsereleistungen/informationen/article/41706.html#
Für Salzburg
www.lzhs.salzburg.at/wordpress/fruehfoerderung-sinne-fuer-hoeren-und-sehen-2/
für die Steiermark
www.odilien.at/bildung/lebenspraktische-fertigkeiten/
www.lavida.at
für Tirol
www.bsvt.at/leistungen/paedagogische-fruehfoerderung
für Vorarlberg
www.sehsam.at
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