Hochbegabung bei Kindern – Potenziale erkennen, Kinder und Eltern stärken
von MMag. Dr. Birgit Hartel
Manche Kinder verblüffen früh durch erstaunliche Fähigkeiten: Sie sprechen in ganzen Sätzen, während Gleichaltrige noch einzelne Wörter üben, oder sie lösen komplexe Aufgaben, die eigentlich erst viel später im Unterricht vorkommen. Solche Entwicklungssprünge können ein Hinweis auf eine Hochbegabung sein – ein Thema, das Eltern oft zwischen Stolz, Unsicherheit und Sorge zurücklässt.
Was bedeutet Hochbegabung eigentlich?
Hochbegabung beschreibt ein außergewöhnlich großes Lern- und Entwicklungspotenzial. Dieses kann sich in unterschiedlichen Bereichen zeigen, z.B. sprachlich, mathematisch-naturwissenschaftlich, musikalisch, sportlich oder auch im sozialen Miteinander.
Damit ein Kind seine besonderen Fähigkeiten entfalten kann, braucht es anregende Lernangebote, persönliche Eigenschaften wie Neugier, Disziplin, Frustrationstoleranz und Ausdauer sowie ein Umfeld, das es unterstützt. Hochbegabung führt jedoch nicht automatisch zu (schulischen) Spitzenleistungen – bleibt das Potenzial unbeachtet, können Frust, Lernunlust oder Leistungsabfall entstehen („Underachievement“) oder Begabungen erst gar nicht sichtbar werden. Psychologische Beratung hilft, wenn ein Kind sich dauerhaft unterfordert fühlt oder auffälliges Verhalten zeigt.
Woran lässt sich Hochbegabung erkennen?
Hochbegabte Kinder lernen schnell, denken vernetzt und interessieren sich oft für Themen, die weit über den Altersdurchschnitt hinausgehen. Typische Anzeichen können sein: unstillbarer Wissensdurst, Ungeduld bei Wiederholungen und Routineaufgaben, feiner Humor oder kritisches Hinterfragen. Manche Kinder fallen nicht durch besondere Leistungen, sondern durch die Folgen von Unterforderung auf – etwa durch Störungen im Unterricht, die Weigerung in den Kindergarten zu gehen, sozialen Rückzug oder plötzlichen Leistungsabfall.
Eine verlässliche Diagnose liefert nur ein Intelligenztest im Rahmen einer umfassenden Begabungsdiagnostik. Dabei wird nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit, sondern auch das Leistungsniveau, die Motivation und das Wohlbefinden des Kindes untersucht. Rückmeldungen aus Kindergarten oder Schule helfen zusätzlich, die Situation ganzheitlich zu verstehen. Wichtig: Hochbegabung beginnt nicht erst bei einem IQ von 130 – auch Kinder mit „nur“ überdurchschnittlichen Werten im Intelligenztest zeigen in der Regel einen besonderen Förderbedarf!
Wann ist eine Diagnostik sinnvoll?
Solange hochbegabte Kinder sich gut entwickeln und ihre Fähigkeiten entfalten können, ist eine Diagnostik nicht zwingend nötig. Zeigen sich jedoch Stagnation, Stress oder Anzeichen von Unwohlsein, lohnt sich eine fachliche Abklärung, um Ursachen zu klären und passende Maßnahmen abzuleiten.
Warum Förderung unverzichtbar ist
Kinder mit Hochbegabung brauchen Lernangebote, die zu ihrem Potenzial passen. Fehlen diese, drohen sinkendes Selbstvertrauen, Verhaltensauffälligkeiten, sozialer Rückzug oder psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Hochbegabtenförderung ist daher kein „Luxus“, sondern Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung – und in den Kinderrechten verankert.
Hochbegabte Kinder brauchen aber auch Freund*innen, die auf ähnlicher Wellenlänge sind. Spezialisierte Praxen, Beratungsinstitutionen oder Vereine bieten Kurse und Workshops speziell für hochbegabte und interessierte Kinder an. Fragen Sie bei den LänderbeirätInnen des Vereins ECHA für Ihr Bundesland nach Angeboten nach.
Eltern im Schatten – wer stärkt die Stärkenden?
Eltern hochbegabter Kinder spielen eine Schlüsselrolle, geraten dabei aber oft selbst unter Druck. Studien zeigen: Sie brauchen Wissen, Austausch und emotionale Unterstützung. Viele fühlen sich isoliert, unsicher in Erziehungsfragen und erschöpft, weil sie zwischen institutionellen Rahmenbedingungen (in Kindergarten oder Schule) und den individuellen Bedürfnissen ihres Kindes vermitteln müssen. Sie sind gefordert, immer wieder als „Anwälte“ ihrer Kinder aufzutreten – in Schule, Kindergarten oder sogar im Freundeskreis. Fachliche Beratung, mehr gesellschaftliche Anerkennung und der Austausch mit anderen betroffenen Familien helfen, diese Aufgabe gelassener und gestärkter wahrzunehmen. Ein Angebot, das die Bedürfnisse der Eltern hochbegabter Kinder aufgreift, ist die online-Gruppenberatung „BeGIFTed!“ der Praxis Hartel-Elementar, die jedes Monat einem anderen Thema aus dem Alltag mit hochbegabten Kindern gewidmet ist.
Fazit: Hochbegabte Kinder benötigen passende Lernbedingungen – und ihre Eltern brauchen Rückhalt. Wer beides zusammendenkt, stärkt nicht nur das Potenzial der Kinder, sondern das gesamte Familienleben.