Nennen wir ihn Elias. Er ist 8 Jahre alt, fröhlich und aufgeweckt, ging gerne in die Schule und war beliebt. Seit der Trennung seiner Eltern hat er sich jedoch verändert: Elias ist unkonzentriert, erledigt seine Aufgaben nur noch flüchtig und zieht sich mehr und mehr zurück. Seine Lehrerin macht sich Sorgen.
Elias ist nur eines von rund 12.000 Kindern, die in Österreich jedes Jahr von der Scheidung ihrer Eltern betroffen sind. Hinzu kommen Tausende weiterer Kinder und Jugendliche, deren Eltern nicht verheiratet waren und sich trennen, sie bilden die Dunkelziffer der Trennungskinder.
Auch wenn die Entscheidung zur Trennung bei den Erwachsenen liegt, brauchen die betroffenen Kinder in dieser Zeit besondere Unterstützung. Wie gut sie die Trennung verarbeiten, hängt in erster Linie davon ab, wie ihre Eltern damit umgehen. Zusätzliche Hilfe und Entlastung finden die Kinder in den RAINBOWS-Gruppen oder in Einzelbegleitungen.
Wie geht es den Kindern? Reaktionen und Erleben
Wie Kinder eine Trennung erleben und reagieren ist abhängig vom Alter, der Persönlichkeit des Kindes, der Zeit vor/während und nach der Trennung sowie der Beziehung zu ihren Eltern. Folgendes erleben aber alle gleich:
- Die Kinder zeigen unterschiedliche Gefühle.
- Sie sind traurig über die Trennung.
- Sie fühlen sich unsicher, wenn sie nicht alle wichtigen Informationen bekommen.
- Oft glauben Kinder, dass sie schuld an der Trennung sind.
- Sie schwanken zwischen Wut auf einen Elternteil und Wut auf sich selbst, weil sie es nicht geschafft haben, dass die Eltern zusammenbleiben
- Sie fühlen sich hilflos, weil sie die Situation nicht ändern können.
- Die neue und unbekannte Situation macht ihnen Angst, sie haben viele Phantasien und ihr Vertrauen in das Leben ist im Moment erschüttert.
- Kinder sehen Streit oft als Grund für die Trennung. Deshalb haben sie Angst vor Konflikten und versuchen, keinen Streit zwischen den Eltern auszulösen. Sie werden „brav und unauffällig“ und ziehen sich zurück. Tatsächlich ist Streit jedoch selten der Grund für eine Trennung – vielmehr fehlt nach dem Streit die Versöhnung.
- Manche Kinder zeigen vorübergehend weniger Selbstständigkeit oder schlechtere Leistungen (Regression).
- Besonders jüngere Kinder nehmen die Trennung oft persönlich: Sie fühlen sich verletzt und glauben, dass sie nicht liebenswert sind oder etwas falsch gemacht haben. Ihr Selbstwertgefühl leidet.
- Kinder verlieren ihre vertraute Welt und müssen sich oft an neue Wohnsituationen, Schulen und Abläufe gewöhnen.
- Kinder merken zum ersten Mal, dass Liebe auch enden kann. Sie fragen sich: „Hört die Liebe von Mama/Papa zu mir auch irgendwann auf?“
- Sie geraten in Loyalitätskonflikte und fühlen sich zwischen den Eltern hin- und hergerissen.
- Kinder spüren die Trauer oder Belastung ihrer Eltern und ziehen sich zurück. Statt Fragen zu stellen, schweigen sie.
- Ein Kind erlebt sich als Teil der Mutter und Teil des Vaters. Kritik an einem Elternteil beziehen sie daher auch auf, sich fühlen sich indirekt kritisiert.
- Manche Kinder entwickeln körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen.
Kinder müssen auf eine Trennung reagieren! Diese Reaktionen sind Ausdruck des Bemühens, mit der veränderten Familiensituation fertig zu werden. Die Veränderungen und Auffälligkeiten im Verhalten der Kinder sind gesunde, normale Reaktionen auf eine schwierige Situation.
Was brauchen die Kinder? Unterstützung und Hilfe
- Kinder brauchen sofortige, ehrliche und altersgemäße Informationen darüber, was passiert ist und was sich für sie verändern wird. Sie brauchen Klarheit darüber, wie sich ihr Alltag nach der Trennung gestaltet: Wo werde ich wohnen? Wann und wo werde ich Mama oder Papa sehen, wenn sie oder er auszieht? Dies hilft neue Perspektiven zu schaffen und stärkt den Selbstwert des Kindes.
- Dem Kind muss die Angst, an der Trennung schuld zu sein, genommen werden.
- Das Kind muss aktiv in seinem Loyalitätskonflikt entlastet werden! Es ist wichtig, immer wieder zu vermitteln, dass die Probleme, die zur Scheidung führten, aber auch die Auseinandersetzungen danach, Sache der Eltern sind und dass das Kind beide lieben darf und zu keinem von beiden halten muss.
- (Soweit wie möglich) Regression zulassen.
- Dem Kind soll erklärt werden, dass es verschiedene Arten von Liebe gibt (die Liebe zum Partner*in ist eine andere als die zu Eltern oder Geschwistern). Automatisch stellen Kinder sonst die Frage, wann die Liebe zu ihnen aufhört.
- Wichtig ist auch, dem Kind zu vermitteln, dass es verschiedene Wahrheiten und Perspektiven gibt und jeder der Beteiligten die Trennungssituation anders sieht. Andernfalls muss das Kind annehmen, dass es ein Elternteil belügt.
- Kinder brauchen Bezugspersonen inner- oder außerhalb der Familie, auf die sie sich verlassen können.
- Kinder haben ein Recht darauf, eine lebendige Beziehung zu beiden Elternteilen zu haben und müssen sich der Zuneigung beider Elternteile sicher sein. Dazu gehört auch die Erlaubnis, beide Elternteile lieben zu dürfen.
- Wünsche der Kinder in Bezug auf Kontakt- und Betreuungsregelungen sind zu berücksichtigen, Entscheidungen müssen aber von den Erwachsenen getroffen werden.
- Wichtig ist auch, dass von Kindern keine Entscheidungen (für oder gegen einen Elternteil) eingefordert werden.
- Austausch mit Gleichbetroffenen sowie dies z.B. in einer RAINBOWS-Gruppe möglich ist. In altershomogenen Kleingruppen (ca. vier Kinder) werden alle wichtigen Themen rund um die Trennung spielerisch, kreativ oder im Gespräch bearbeitet werden. RAINBOWS stärkt die Kinder und hilft ihnen, ihre Ressourcen zu entdecken und ihre veränderte Familiensituation anzunehmen.