„Um ein Kind groß zu ziehen braucht es ein ganzes Dorf.“ (afrikanisches Sprichwort)
Wie die demografische Entwicklung zeigt, steht einer steigenden Lebenserwartung eine sinkende Geburtenzahl gegenüber. Dies bedeutet, dass immer mehr Menschen im Großelternalter immer weniger Enkelkinder bekommen. Andrerseits gibt es Kinder, die aus verschiedensten Gründen auf Großeltern verzichten müssen. Großelternschaft sollte nicht nur primär als familiale Rolle verstanden und wahrgenommen werden. Die Frage der sozialen Großelternschaft wird in Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklung – auch bei Scheidungskindern – eine immer dringendere werden. Petzold sieht in seinem Festvortrag zu „20 Jahre Pro Senectute“ die Menschheit als „auf dem Wege sein“. Er spricht von der Weg- Erfahrung des menschlichen Lebens, und sieht den Menschen auf seinem Weg, in seiner Entwicklungsmöglichkeit, immer im Zusammenhang eines sozialen Konvois. Den Menschen als Einzelwesen gibt es nicht, er wäre nicht überlebensfähig, er ist von Natur aus „Mitmensch“. Er wird in Familien hineingeboren, geht in sozialen Netzwerken durchs Leben und kann nur dadurch lernen. Schon Aristoteles spricht vom Menschen als „zoon politicon“, dem Menschen als soziales Wesen. Petzold betont die evolutionsbiologische Perspektive, dass Menschen in der Menschheitsgeschichte in Kinderrudeln aufgewachsen seien. Wir sind aus Großfamilien hervor gegangen. Diese Strukturen sind heute nicht mehr gegeben und werden auch nicht künstlich geschaffen. Deshalb werden unter anderem institutionelle Strukturen benötigt, wie zum Beispiel Kindergärten, in denen es familien- bzw. großfamilienähnliche Strukturen gibt.
Es stellt sich die Frage, ob und wie Großfamilien- und Nachbarschaftsstrukturen ersetzt und soziale Infrastrukturen geschaffen werden können, in denen Kleingruppensozialisationen möglich werden.Großmütter und Großväter haben von ihrer evolutionären Aufgabe her eine wichtige soziale Funktion, auf die man absichtsvoll zurückgreifen könnte. Es wäre denkbar, dass die so genannten „jungen Alten“, die „rüstigen Rentner“, noch stärker in Erziehungsaufgaben eingebunden werden können, als das bisher geschieht. In diesem Zusammenhang spricht Petzold nicht nur von genetisch Verwandten sondern auch von der Notwendigkeit von Wahlverwandtschaften.
Aus meinem persönlichen Erfahrungsbereich kann ich von einer Frau berichten, die, selbst kinderlos, es in einem Alter von über 80 Jahren verstanden hatte, zu einem italienischen und einem albanischen Mädchen über viele Jahre hinweg eine Freundschaft aufzubauen. Sie war Vertrauensperson und Mentorin für sie und half bei schulischen und privaten Angelegenheiten. Sie zeigte generatives Verhalten, von dem der amerikanische Psychologe Erikson schon 1966 als eine zu leistende Entwicklungsaufgabe des mittleren und höheren Alters spricht. In ihrer letzten Zeit im Krankenhaus besuchten die beiden Teenager sie jeden Tag und begleiteten sie in ihrem Sterben. Im Laufe der Jahre ermöglichte sie den Mädchen ein Bild des Alters kennen zu lernen, welches nicht nur durch Defizit und Abbau geprägt war, sondern ebenso durch geistige und seelische Entwicklung bis zum Schluss.
Ein Appell Petzolds soll diesen Teil der Ausführungen abschließen: „Wir müssen uns mit aller Kraft den soziologischen bzw. sozialen Problemen zuwenden, die wir durch unser Verhalten produziert haben und weiterhin produzieren: durch Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, durch persönliche Vorbereitung auf das Alter, durch ein bewusstes Vollziehen der Alternsprozesse, in denen ein jeder von uns steht.“
(Auszug aus der Arbeitsmappe „Mit Achtung und Respekt kompetente Eltern – Wie Elternbildung gelingen kann“, Forum Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich, 2010. S2.21 – 2.27)
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