Körperlicher Entwicklungssprung
Zwischen 10 und 13 Jahren durchleben Kinder eine sehr intensive Entwicklungszeit in Bezug auf die erwachsene Sexualität. Der Körper verändert sich massiv, sie werden möglicherweise mit intensiven Verliebtheitsgefühlen, mit erwachsener sexueller Sehnsucht konfrontiert, ohne oft zu wissen, in welcher Weise sie damit umgehen sollen. In dieser Phase werden oft eigenartig anmutende Dinge ausprobiert (Zungenkuss ohne jemanden wirklich zu mögen, ein neuer Kleidungsstil, der völlig fremd ist,..). Der Freundeskreis, Beziehungen außerhalb der Familie, das Reden über Verliebtheit und Sexualität ist immens wichtig. Für Eltern ist diese Phase meist eine enorme Herausforderung. Nicht immer ist für Eltern ersichtlich, welche Handlungen das eigene Kind wirklich setzt, wo es Schutz braucht, wo nicht, welche Einmischung notwendig ist.
Meist ebbt dieses eher auffällige Flirtverhalten, das Kichern bei jedem Wort, das mit S beginnt, ab, sobald sich die verwirrenden Gedanken und Gefühle etwas gelegt haben. Fast alle Jugendlichen werden ab 14 nach außen hin ruhiger. Nach innen aber formt sich immer mehr der Wunsch, Sexualität und Beziehung real erleben zu können heraus. Realisierbar wird dieser Wunsch nur dann, wenn es auch tatsächlich zu einer Verliebtheitssituation kommt, die erwidert wird.
Das erste Mal
Das erste Mal – den ersten Geschlechtsverkehr haben Jugendliche durchschnittlich erst im Alter von nahezu 17 Jahren – manche früher, manche später. In den Jahren davor ist es aber für die meisten das große Thema Nr. 1 über das Informationen gesammelt werden – meist aus den Medien und vom Freundeskreis.
Verwirrung, sexueller Leistungsdruck, Fehlinformationen über biologische Vorgänge, sexuelle Klischees werden durch eine Mischung aus schlechten medialen Informationsquellen und Berichten im Freundeskreis forciert.
Als Ansprechpartner werden Eltern von Jugendlichen in dieser Altersphase kaum gewählt. Erwachsene Sexualität ist entwicklungsbedingt ein Abgrenzungsthema zwischen Eltern und Kindern. Die Weigerung, mit den Eltern über intime Fragen und Sehnsüchte zu sprechen, ist daher eher ein gesundes Zeichen.
Dennoch haben Eltern die Aufgabe, ohne einmischend zu wirken, den Zugang zu guten Informationsseiten zum Thema Sexualität zu eröffnen, sich als Ansprechpartner anzubieten und den Weg zur Frauenärztin, zum Urologen oder in eine Beratungsstelle als Möglichkeit, die erlaubt ist, aufzuzeigen.
Die Aufgabe der Eltern in der Sexualerziehung:
- Immer wieder Informationen anbieten ohne Kommentare abzugeben. Eltern können sich darauf verlassen, dass die Informationen in Form von Broschüren oder Internetlinks bei Bedarf genutzt werden, wenn sie nicht dabei sind.
- Aufklärung über Medien. Auch wenn zu Hause kein Internet und kein Kabelfernsehen verfügbar sind, werden Jugendliche mit pornographischen Bildern konfrontiert. Jugendliche müssen wissen, wie Filme gemacht werden, wie Fakes entstehen und warum Sexfilme möglicherweise interessant, aber auf keinen Fall ein Abbild der Wirklichkeit sind.
- Auch wenn es schwierig ist: Eltern sollten jede Form der Moralisierung vermeiden. Das gilt auch für pornographische Zeitschriften oder Handy-Clips, die man möglicherweise „entdeckt“. Besser ist, in ruhiger Form gesellschaftliche Regeln klar zu machen (es macht sich nicht gut, wenn so was am Schikurs gefunden wird…). Ob Pornos gut oder schlecht sind braucht nicht diskutiert zu werden – es könnte zu leicht das Gegenteil des Erwünschten erreicht werden.
- Ruhiges Einfordern sozialer Regeln gepaart mit einem gewissen Vertrauensvorschuss. Jugendliche können und sollen nicht mehr ständig kontrolliert werden. Intimität bedeutet auch das Zugestehen von Eigenverantwortung für gewisse Bereiche. Gleichzeitig kann es gut tun, wenn Eltern die Rolle der „Bösen“ übernehmen und Entscheidungen abnehmen – z.B. wenn es darum geht, eine Party zu- oder abzusagen und am nächsten Tag Schularbeit ist.
- Auch in Bezug auf den Freund oder die Freundin des eigenen Kindes geht es darum, Kompromisse bei den Familienregeln zu finden, die für alle tragbar sind. Es muss weder ein striktes Übernachtungsverbot geben, noch müssen die Wünsche des jugendlichen Paares über die Familienregeln gestellt werden – Kompromissregelungen, die jeweils für einen Zeitraum von vier Wochen getroffen werden, sind zwar mit vielen Diskussionen verbunden, erleichtern das Zusammenleben aber für alle.
- Themen wie Regelblutung, körperliche Veränderungen, Verhütung können meist ganz gut angesprochen werden, wenn über andere Jugendliche erzählt wird. Auch wenn das eigene Kind nicht auf das Gespräch einsteigt, signalisieren Eltern damit, dass sie als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
- Die e-card sollte offiziell mit der Erlaubnis, selbst entscheiden zu dürfen, wann zu welchem Arzt gegangen wird, übergeben werden. Es tut Jugendlichen, v.a. Mädchen gut, wenn sie die pauschale Erlaubnis bekommen, zur Frauenärztin zu gehen, wenn sie es für notwendig erachten. Es tut ihnen auch gut, wenn sie von der Mutter wissen, dass sie Unterstützung bekommen, falls dies notwendig sein sollte.
Wolfgang Kostenwein
Psychologische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapien
Klinischer Sexologe ISI, Gesundheitspsychologe
Lehrtätigkeit an Hochschulen
Vermittlung von Methoden des Improvisationstheaters und Mitgestaltung von Gesundheitsvorsorgeprogrammen für Kinder und Jugendliche
Zahlreiche Publikationen zu Sexualität und Sexualpädagogik, u.a. „Sex, we can?!“ Sexualpädagogischer Aufklärungsfilm für Jugendliche, 2010
http://www.sexualpaedagogik.at/sex-we-can/
Mitautor des Buches „Sexualität im Beratungsgespräch mit Jugendlichen“, Springer 2007
Sexualerziehung bei Kindern von 6-10
Mit Eintritt in die Volksschule beginnen viele Kinder, ihre eigene sexuelle Identität durch Abgrenzung von den anderen zu unterstreichen. Auch wenn es im Kindergarten noch bestens geklappt hat – in der Volksschule finden viele Buben die Mädchen „wäh“ und umgekehrt. Im Einzelkontakt gibt es beim Spielen meist kein Problem. In der Gruppe muss der Unterschied aber möglicherweise lautstark durch Abwertung der jeweils anderen gezeigt werden.
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