Der Wert des Spielens generell steht selten in Zweifel, im Gegenteil: Kinder werden von Geburt an mit Spielen versorgt, von der Rassel über den Baukasten und das Puppenhaus bis zum Brettspiel. Spiele regen an, ermöglichen Lernen und fördern vielerlei bedeutsame Fähigkeiten. Bei Computerspielen tun sich Erwachsene jedoch mitunter schwer, auch dieser Form des Spielens positiv gegenüber zu stehen. Und dennoch: Computerspiele sind Spiele! Und auch Computerspiele fordern eine ganze Reihe an Fähigkeiten und Kompetenzen. Dieses Potential der Spiele lässt sich oft sogar klar erkennen, so man bereit ist hinzuschauen. Wenn Computerspiele bei der Freizeitgestaltung vieler Jugendlicher und Kinder dazugehören, dann zahlt es sich jedenfalls aus, sich dieser Chancen bewusst zu werden. Denn durch einen aufgeklärten und produktiven Umgang kann das Positive in den Vordergrund treten und die Frage nach notwendigen Verboten rückt in den Hintergrund.
Eine der wesentlichen Lerngegenstände beim Computerspielen ist das Lernen selbst. Ein Computerspiel fordert die Spielenden dazu heraus, die Regeln, die Geschichte, den Inhalt, die Strategien und Handlungsmöglichkeiten zu meistern. Dabei müssen die Lernenden ständig ihr Können den Anforderungen anpassen, wodurch das Lernen zur freudvollen Herausforderung wird. Dabei werden ständig neue Strategien entwickelt, erprobt, umgesetzt oder verworfen. Ein Spiel, das diese Vorgabe konsequent umsetzt, zwingt dazu, über die eingelernten Spielstrategien nachzudenken. Vereinfacht bedeutet dass, das ein Computerspiel immer schwieriger wird. Das kann in einem Brett- oder Gesellschaftsspiel kaum umsetzt werden, denn die Regeln und Anforderungen bleiben in den meisten Fällen von Anfang bis zum Ende gleich. Unterschiedliche Strategien sind da nur in Abhängigkeit der Mitspielenden gefragt, auf die man die eigene Strategie ausrichten muss. Beim Computer- oder Konsolenspiel wird die steigende Herausforderung auch beim Alleine-Spielen umgesetzt, das Spiel zwingt zum Nachdenken über die Lösungsstrategie. Eben dieses Nachdenken über das Gelernte und das eigene Lernen gilt in der Pädagogik als ein Schlüssel zum erfolgreichen Lernen. Computerspiele sind Lernspiele und können somit als Lernhilfen für erfolgreiches Lernen angesehen werden.
Von der guten und erfolgreichen Gestaltung von Computerspielen leitet sich noch ein weitere Lernherausforderung ab: Der Umgang mit Informationen. Sid Meier, Entwickler der höchst populären Spiele-Reihe „Civilization“, hat festgestellt: „Ein Spiel ist eine Serie interessanter Entscheidungen“. Drei Kriterien machen dabei eine Entscheidung im Spiel interessant: Es ist nicht eine einzige Handlungsoption die beste Lösung, die Optionen dürfen aber auch nicht alle gleich gut sein. Und die Spielenden müssen die Möglichkeit haben, eine informierte Entscheidung zu treffen. In „Civilization“ etwa bleibt es den Spielenden überlassen, ob sie zuerst das Straßennetz ausbauen oder die Siedlungen vergrößern. Beides ist möglich und beides hat Vor- und Nachteile. Informationen über die zur Verfügung stehenden Ressourcen, Anzahl und Zufriedenheit der Bevölkerung, etc. erlauben es, die nach individueller Einschätzung beste Entscheidung zu treffen. Zusammen mit den beschriebenen Qualitätskriterien des Lernens im Spiel bedeutet dies, dass die Spielenden die vorliegenden Informationen überblicken, die relevanten Aspekte erkennen und laufend neu Inhalte bewerten. Selbst bei einem einfachen Spiel wie „Tetris“ wird es nach einigen Level notwendig, beim Ablegen des aktuellen Steines bereits den nächsten Spielstein zu berücksichtigen, der nach dem aktuellen Spielstein zu platzieren sein wird und erst gerade sichtbar ist. Bereits in einem Tierpflege-Simulationsspiel für 8jährige wird dieses geforderte Informations-Management sogar ganz ausdrücklich zum Spielprinzip – ohne Planung, Übersicht und Strategie lässt sich weder ein Tiergarten noch ein Weltreich managen.
Das Ziel einer Studie des Münchner Institutes für Medienpädagogik in Forschung und Praxis war es, die praktische Bedeutung des Lernens in Computerspielen und durch Spiele – konkret für einen Einsatz in der beruflichen Aus- und Weiterbildung – herauszufinden. Das Forschungsteam von Christa Gebel, Michael Gurt und Ulrike Wagner hat dazu eine Reihe von populären Computerspielen analysiert und schließlich fünf Dimensionen unterschieden, in denen die Spiele – jeweils mit unterschiedlicher Ausprägung – kompetenzförderliches Potential bieten:
- Förderung von Sensomotorik
- Förderung kognitiver Kompetenz
- Förderung von Medienkompetenz
- Förderung sozialer Kompetenz
- Förderung persönlichkeitsbezogener Kompetenz
Konkret stehen hinter diesen 5 Dimensionen eine Vielzahl an Fähigkeiten, wie Auge-Hand-Koordination, Geschicklichkeit, logisches Denken, Wissen, Konzentration, Planung, Umgang mit Computersoftware, Teamfähigkeit, Kommunikation, Umgang mit Erfolg und Misserfolg, etc.
Blickt man auf diese Potenziale, diese konkreten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen, die in Computerspielen erlernt und trainiert werden können, wird deutlich, dass sich in digitalen Spielen die Anforderungen im Berufsleben des 21. Jahrhunderts wiederspiegeln. Ob wir es wollen oder nicht, die Arbeit am und mit dem Computer bleibt kaum einer Berufsgruppe erspart und das Spielen am Computer bereitet darauf vor.
Soweit die guten Nachrichten: All diese Lernherausforderungen würden doch grundsätzlich Computerspiele als das ideale Lerninstrument erscheinen lassen! Warum also gibt es dann überhaupt noch Schulen, wenn in Spielen ohnehin alle notwenigen Kompetenzen erlernt werden? Warum müssen Eltern sich noch über Fördermaßnahmen Gedanken machen? Die Antwort ist zunächst einfach: weil diese Förderung, oder besser gesagt der Transfer, die Übertragung in andere lebensweltliche Bereiche nicht von selbst passiert! Es zeigt sich, dass es aber sehr wohl Möglichkeiten gibt, das Potenzial der Spiele über den Spielspaß hinausgehend zu nutzen. Eltern, Erziehende, pädagogisch Tätige müssen – wenn sie diesen Transfer wollen – aktiv werden und sich darum bemühen. Konkret: zu allererst darüber reden! Und dann andere Aufgaben finden, bei denen die Fähigkeiten angewendet und trainiert werden können.
Die Schwierigkeit, das positive Potenzial nutzbar zu machen, hat jedoch auch für eine andere pädagogische Fragestellung Bedeutung: Denn wenn die positiven Aspekte nicht von selbst ins reale Leben übertragen werden, wenn es eines gezielten und relativ großen Aufwands von außen bedarf, um hier eine Transformation anzuregen und wenn es schließlich sogar trotzdem nur in Teilbereichen überhaupt möglich ist – dann gilt dies für befürchtete negative Wirkungen ebenso! In einem Kriegspiel wird nicht das Töten gelernt, so wenig wie ich beim virtuellen Tennisspiel meine reale Vorhand verbessern kann. Wenn ich hundert Stunden einen Mafia-Killer spiele, werde ich nicht zum Mafioso, so wenig wie ich mich auch nach hundert Stunden Stadtentwicklungssimulation nicht für ein politisches Amt im Rathaus qualifiziere. Es bedarf eines großen Aufwandes und entsprechender Rahmenbedingungen, um Erfahrungen im Spiel aus dem „magischen Kreis des Spieles“ heraus in andere Bereiche zu übertragen. Den produktiven Transfer anzuregen und einem selbstbestimmten und reflektierten Umgang mit Spielen bei Jugendlichen anzuregen, kann als eine notwendige Erziehungsaufgabe bezeichnet werden. Dieser Herausforderungen sollten sich Erziehende im 21. Jahrhundert stellen und Computerspiele nicht als Problem sondern als Chance begreifen.
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