Die Schlagzeilen rund um die "neue, sexuell verwahrloste Generation" machen seit nunmehr fast zehn Jahren immer wieder Druck. Druck auf Eltern, PädagogInnen und andere Bezugspersonen.
Aber auch Druck auf die jeweils aktuelle Jugendgeneration. Die vorgestellten Prognosen und Kausalitäten ähneln sich: Durch die heutigen medialen Möglichkeiten, so wird behauptet, allen voran das Internet, kommen Jugendliche nicht nur recht einfach mit Pornos in Kontakt – die neuen Medien laden auch zum Austausch von intimen Fotos und Filmen ein, gaukeln eine falsche (sexuelle) Beziehungswelt vor. Dadurch entsteht Orientierungslosigkeit, Zügellosigkeit, Gefühlslosigkeit, die Einhaltung sozialer Grenzen fällt weg und bisher als hoch angesehene moralische Werte, allen voran die monogame Zweierbeziehung, werden in Frage gestellt. Der drohende Zeigefinger verweist auf "Sexuelle Verwahrlosung, Vermehrung der sexuellen Gewalt und Beziehungsunfähigkeit".
Tatsache ist: Kinder und Jugendliche, die jetzt aufwachsen, haben komplett andere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und der sozialen Kontaktmöglichkeiten als die jeweilige Eltern- bzw. Großelterngeneration. War es für die Kinder der 70er Jahre Thema, welche Familie einen Fernseher zu Hause hatte und ob und wann dieser genutzt werden durfte, so ist die Kommunikation, wie auch die Möglichkeit sich medial zu informieren durch den persönlichen Besitz eines Smartphones oder eines Computers weg vom Wohnzimmer direkt in die Kinderhand gewandert. Ein ziemlicher großer Schritt.
Kinder und Jugendliche wachsen heute mit technischen Möglichkeiten der Kommunikation und Information auf, die um vieles komplexer sind als noch vor dreißig Jahren. Ehrlicherweise muss aber zugegeben werden, dass die Kinder der 70er Jahre ebenso mit weitaus komplexeren technischen Möglichkeiten der Information und Kommunikation aufwuchsen als ihre Elterngeneration.
Provokant formuliert könnte man also behaupten, dass die aktuelle Elterngeneration, sofern sie sich lediglich auf die Erfahrungen der eigenen Kindheit bezieht, grundsätzlich unzureichend vorbereitet ist. Dies gilt jedenfalls für den Umgang mit Internet, Smartphone und Co.
Im Grunde genommen verhält sich diese "Generation Porno" demnach sehr adäquat. Eine dem Entwicklungsstand natürliche Neugierde, wird, der aktuellen Zeit entsprechend, durch die Nutzung aller medialer Möglichkeiten, gestillt.
Sexualität und die Neugierde an sexuellen Themen sind absolut normale Entwicklungsschritte. Das Bedürfnis diese Neugierde unabhängig von erwachsenen Bezugspersonen stillen zu wollen ist auch völlig normal und v.a. nichts Neues.
Neu sind lediglich die medialen Möglichkeiten. Die rasche Verbreitung von Informationen, die Schwierigkeit "praktikable" von "verwirrenden" Informationsquellen zu unterscheiden.
Druck durch Informationen
Je weniger Informationen zum Thema Sex Kinder und Jugendliche von Erwachsenen bekommen, desto eher müssen sie andere, anonyme Informationsquellen bemühen und desto unerfahrener sind sie im Herausfiltern von jenen Informationen, die sie in der eigenen Entwicklung fördern.
Gibt es wenige Vorinformationen zum Thema Sex und v.a. wenig Bezug zu sich selbst und dem eigenen sexuellen Körper, wenig Erfahrung im Umgang mit Medien, so bekommen sämtliche Informationen aus dem Netz eine Bedeutungszuschreibung und werden entsprechend machtvoll.
Bestimmend für die Fähigkeit, sexuell in Beziehung treten zu können, ist ein positiver Körperzugang. Auf dieser Basis ist es erst möglich, sich auch körperlich wahrzunehmen. Viele Bewegungserfahrungen in der kindlichen Entwicklung fördern eine Körperwahrnehmung und damit verbunden auch eine lustvolle Erfahrung des Körpers. Diese Lustwahrnehmung ist schließlich die Grundlage für die Möglichkeit einer sexuellen Gestaltung, einer Handlungskompetenz und auch Grundlage für ein Einlassen in eine gemeinsame Lust in einer Beziehung. Fehlt dieser "innere" Lustzugang, müssen äußere Bilder zur Orientierung herangezogen werden. Geschieht dies, dann können Pornobilder Druck machen und die Sexualität beeinflussen oder gar beeinträchtigen.
Bettina Weidinger
Pädagogische Leitung des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapien www.sexualpaedagogik.at
Sozialarbeiterin, Sexualpädagogin
Leiterin des sexualpädagogischen Lehrganges am ISP
Autorin unterschiedlicher sexualpädagogischer Broschüren, u.a. Das Aufklärungspaket 2008, Mitautorin des Buches „Sexualität im Beratungsgespräch mit Jugendlichen“, Springer 2007
Sexualpädagogische Arbeit mit Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern, Elternabende, Fachfortbildungen für PädagogInnen im Bildungs- und Behindertenbereich, Fachsupervision und Fortbildungen
Lehrtätigkeit an der FH für Sozialarbeit
Generation Porno – Die Aufgabe von Eltern und anderen Bezugspersonen
Kinder und Jugendliche wachsen heute unter anderen Bedingungen auf als ihre Eltern. Dass dieser Umstand als bedrohlich und moralisch verwerflich angesehen wird, ist letztendlich auf den Generationenkonflikt zurückzuführen. Bereits die Elterngeneration der heutigen Kinder und Jugendlichen war moralisch verwerflich und sexuell auffällig - aus Sicht der damaligen Eltern und Großeltern.
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