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Jugendliche und Lesen

von Prof. Dr. Susanne Reichl

Elternbildung
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Machen Sie sich Sorgen, dass Ihr Kind vor dem Computer sitzt oder am Handy zockt, anstatt ein gutes Buch zu lesen?Elternbildung

Keine Sorge, Sie sind damit nicht allein. Viele Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder das Lesen als Kulturtechnik verlernen, weil sie lieber mit ihrem Handy „spielen“ als sich mit längeren Texten intensiv auseinanderzusetzen. Lesen Jugendliche heutzutage wirklich weniger als früher? Langfristig geht die Begeisterung Jugendlicher für das Lesen von Büchern zwar leicht zurück, ist aber in Deutschland und Österreich in den letzten Jahren relativ konstant geblieben: in Jugendmedienstudien geben etwa die Hälfte aller 12-18-Jährigen an, sehr gerne oder gerne zu lesen. Das schließt E-Books, die am Buchmarkt für junge Lesende immer wichtiger werden, mit ein.

Dass dabei der PC, das Tablet oder das Handy die große Konkurrenz zum Bücherlesen sind, ist nur die halbe Wahrheit. Das Internet ist schließlich ein Lesemedium: ohne Lesekompetenz, ohne die Fähigkeit, schnell vernetzte Inhalte zu erschließen, geht hier gar nichts. Allem Kulturpessimismus zum Trotz lesen Jugendliche mehr denn je: die zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten, die das Handy bietet, hängen vor allem am Schriftlichen. Computerspiele bestehen zu großen Teilen aus Erzähltext, dem es in den Spielen zu folgen gilt. Jugendliche werden aber auch immer offener gegenüber Alternativen zum gedruckten Jugendroman und lesen Graphic Novels, Manga, Webcomics oder Fan Fiction. Letztere wird von vielen Jugendlichen gelesen, aber auch selbst geschrieben: auf Fan Fiction-Seiten können sie über ihre Fanwelten fabulieren und spekulieren, was wohl passieren könnte, wenn ein Superheld aus dem  Marvel-Universum auf Dr. Who träfe. Das regt die Phantasie an und lädt ein, selbst kreativ mitzugestalten. Das gedruckte Buch kann aber durchaus mit dem alternativen Medienangebot mithalten: der österreichische Buchhandel konnte schon vor der Pandemie im Bereich Kinder- und Jugendliteratur beindruckende Marktgewinne verzeichnen (2019 um 6,5%), während des ersten Pandemie-Lockdowns war das Kinder- und Jugendbuchsegment der einzige Bereich, der deutlich angestiegen ist, und zwar um 3,2%, während der allgemeine Umsatz im Buchhandel insgesamt gesunken ist. Das spricht dafür, dass es eine ganze Menge begeisterte junge Leser und Leserinnen gibt.

Was lesen Jugendliche aktuell denn so?Elternbildung

Das ändert sich und hängt durchaus an den Büchern, die über soziale Medien, allen voran TikTok, gehypt werden. Glaubt man den Trends auf den sozialen Medien, dann sind es aktuell vor allem englischsprachige Jugendromane (auch als „YA“, also young adult, bekannt), wie etwa Dustin Thaos Bleib bei mir, Sam (engl. You’ve reached Sam) oder Colleen Hoovers Nur noch einmal und für immer (engl. It Starts with Us), oder Holly Blacks Book of Night, ihr erster Roman für Erwachsene. Neben Fantasyromanen sind nach wie vor Dystopien nach dem Vorbild der Tribute von Panem (engl. The Hunger Games) von Suzanne Collins sehr beliebt. Was jugendliche Leser*innen heute vor allem von ihrer Elterngeneration unterscheidet, ist der Medienverbund: die erfolgreiche Graphic Novel-Reihe Heartstopper von Alice Oseman beispielsweise ist aktuell als Netflix-Serie zu sehen und auch als Webcomic gratis lesbar, und auch als Hörbuch erhältlich (mit den Stimmen der deutschen Synchronsprecher der Serie). Zum Marvel Universe gibt es unzählige Comics, Spiele, Filme, Serien und Merchandise. Dass diese Beispiele vorwiegend aus dem angloamerikanischen Bereich kommen, ist kein Zufall. Der englischsprachige Buchmarkt ist nicht erst seit dem Erfolg von Harry Potter im deutschsprachigen Raum dominant: besonders bei Buchreihen wollen Jugendliche oft nicht auf die Übersetzungen warten und greifen dann oft zum Buch in der englischen Originalversion.

Was tun Sie, wenn ihr Kind nicht lesen will?Elternbildung

Ein „Leseknick“ ist im Übergang vom Kindes- zum Teenager-Alter, also zwischen 12 und 14 Jahren,  ganz normal, und besonders bei Buben zu beobachten. Oft wird dann zu Lektüre geraten, in der es um Fußball geht – das funktioniert aber nur begrenzt: wenn Buben Fußball spielen wollen, dann wollen sie spielen und nicht darüber lesen! Vielversprechender sind hier Bücher, die reichhaltig illustriert und im Comics-Stil designt sind. Nach dem Vorbild von Jeff Kinneys Reihe Gregs Tagebuch finden sich zahlreiche ähnlich konzipierte illustrierte Geschichten, in denen Text und Bild einen handschriftlichen Charakter haben und so wirken, als wären sie von einem (relativ begabten) 12-Jährigen hingeschrieben bzw -gekritzelt worden. Insgesamt ist auffallend, dass die erfolgreichsten Buchproduktionen der letzten Jahre sehr stark auf Bilder und Illustrationen setzen. Dadurch setzen die Verlage ihre gedruckten Produkte stark vom E-Book ab – visuell komplexe Texte und Illustrationen sind auf E-Readern noch immer nicht besonders gut lesbar. Durch die sorgfältige Gestaltung von Buchumschlägen, etwa mit farbigem Schnitt oder besonders aufwendig gestaltetem Buchrücken, wird hier ein Angebot gemacht, das nicht auf Handys und E-Readern gelesen werden kann. Auch klassische Literatur wird in grafische Form gebracht und macht damit schwierige Inhalte zugänglicher für jüngere Leser und Leserinnen, wie etwa das Tagebuch der Anne Frank (adaptiert von Ari Folman und David Polonksy) oder Marjane Satrapis Persepolis. Eine stark illustrierte Lektüre oder ein Comic kann bei weniger lesemotivierten Jugendlichen leicht zur „Einstiegsdroge“ werden. Das multimodale Lesen, also das gleichzeitige Verstehen von vielen Gestaltungselementen wie Text, Bild, Farbe oder Perspektive, ist keine einfachere Form des Lesens, sondern eine wesentliche Kompetenz für das vernetzte Lesen, das das 21. Jahrhundert, und dabei auch die Schule, fordert. Jeder Hypertext im Internet ist ein vernetzter multimodaler Text, und je besser die Jugendlichen sich in diesen Textwelten orientieren können, je besser sie Bilder interpretieren können, desto größer ihre Lesekompetenz im Internet. Lesekompetenz geht dabei weit über das gedruckte Wort hinaus.

Trotzdem ist es gut, wenn junge Menschen auch mitunter konzentriert einen längeren Fließtext lesen. Internationalen Lesestudien zufolge hängt Lesekompetenz ganz wesentlich von der Fähigkeit ab, sich in einen längeren Text konzentriert zu versenken und darin enthaltene komplexe Inhalte zu verstehen. Sobald es nicht mehr um Handlungen geht, sondern um komplexe emotionale und motivationale Vorgänge, ist es erforderlich, dem Text mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nur einen kurzen Blick. Wie kann man das lernen? Nur indem man tatsächlich mal längere Texte liest. Trotz aller anderen Medienangebote ist das Lesen immer noch die Schlüsselkompetenz, wenn es um Bildung geht, und Lesen lernt man am Besten, ja, durch Lesen. Wer nicht oder nur schlecht sinnerfassend lesen kann, dem fällt Informationsaufnahme, Weiterbildung und auch die demokratische Teilhabe an unserer Gesellschaft schwer. Die PISA-Studien aus den letzten Jahren legen nah, dass ca. 20% der Jugendlichen in Österreich gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit nicht sinnerfassend lesen können.

Das konzentrierte Lesen längerer literarischer Texte, wie Jugendromane oder Fantasygeschichten, erlaubt es jungen Menschen, sich in andere Lebenswelten hineinzudenken, Empathie und Verständnis für andere Menschen zu entwickeln und Erfahrungen nachzuvollziehen, ohne selbst direkt betroffen zu sein. Ein aktuelles Beispiel: Laurie Halse Anderson, eine amerikanische Jugendschriftstellerin, wurde im März 2023 der begehrte AMLA – Astrid Lindgren-Memorial Award – verliehen. In ihrem Roman Sprich (engl. Speak, 1999) wird aus der Ich-Perspektive das Trauma eines jungen Mädchens nach einer Gewalterfahrung vermittelt. Die Stimmlosigkeit des Mädchens ist deutlich durch große Absätze, also viele leere Stellen im Dialog mit anderen, erkennbar. Was das Mädchen denkt (sehr viel) und was sie sagt (meistens nämlich nichts) erzeugt eine Spannung, die sich erst ganz am Ende auflöst. Dieser Roman gibt Einblick in das Leben eines Teenagers, das aus einer Mischung von Normalität und Extremsituation besteht. Gleichaltrige können davon Handlungsoptionen lernen, für sich selbst, aber auch für ihre Freunde, und lernen die Dynamiken und die weitreichenden Folgen von Mobbing, Diskriminierung und Gewalterfahrung zu verstehen. Sie können lernen, warum manche jungen Menschen über ihre Erfahrungen nicht sprechen können oder wollen und erhalten Einblicke in andere Kulturen, andere Schulsysteme, andere Normen, die sie ihre eigenen hinterfragen lassen.

Wie bringen Sie Ihr Kind zum Lesen?Elternbildung

Viele Jugendliche holen sich inzwischen ihre Lesetipps aus sozialen Medien, also der vermeintlichen Konkurrenz zum Buch. Hier hat sich eine äußerst rege Community von Leseratten und Bücherwürmern gebildet, die auf Youtube, Instagram oder TikTok selbst produzierte Inhalte über Bücher teilen: Buchbesprechungen, Leselisten, „bookathons“ und andere Formate, in denen vorwiegend junge Menschen ihre Leidenschaft für Bücher deutlich machen. Ein besonders erfolgreiches Format auf TikTok sind Sequenzen, in denen eine „Bookfluencerin“ weint und darüber spricht, wie stark sie ein Buch bewegt hat („Dieses Buch hat mich zerstört!“). Die Buchindustrie, allen voran die großen internationalen Handelsketten, haben längst die Wirkung von „Booktok“ erkannt und sie für Verkaufszwecke eingesetzt. Im Oktober 2022 wurde im Rahmen der Partnerschaft von TikTok Deutschland und der Frankfurter Buchmesse der TikTok #BookClub mit einem eindrucksvollen Bühnenprogramm gestartet, dessen Website mit Thalia verlinkt ist. Auf der Thalia-Website sind wiederum aktuelle BookTok-Trends mit starker emotionaler Aussagekraft zu finden („Bücher, die meine Seele in Stücke gerissen haben…“), und Amazon bewirbt Jugendromane mit Slogans wie „Die TikTok-Sensation“. Booktok-Beiträge beziehen sich dabei vorwiegend auf die emotionale Wirkung der Romane, inszenieren aber auch sorgfältig kuratierte Bücherregale und Leseecken. Auch auf „Bookstagram“ finden sich ansprechend inszenierte Lifestyle-Bilder von Büchern, auch hier oft in kommerziellen Kontexten. Auf Youtube wiederum gibt es viele Kanäle von „Booktubern“ zu finden, die Bücher aller Art in Videos von 10 bis 100 Minuten Länge besprechen. Die Grenzen zwischen Kommerz und Hobby verschmelzen oft – viele Verlage haben Verträge mit Bookfluencern, die dann Vorabexemplare der Bücher gratis zur Rezension erhalten. Soziale Medien können junge Menschen also durchaus zum Lesen motivieren und müssen nicht immer als Konkurrenz zum Buch verstanden werden. Im Gegenteil, möglicherweise können auch Nichtleser*innen durch Booktok und andere Communities zum Lesen motiviert werden.

 

 


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